Kurz vor 7 früh, Dresden Neustadt, Bahnhof. Durchsage am Gleis: Zug entfällt. Katastrophe! Alle Züge und Busse und Umstiege zusammen genommen 15 Stunden Plan-Fahrzeit: Noch später und wie soll man, mit welchem Bus nachher - in der Slowakei? Ich seh uns im Wald schlafen, nein besser Hotel in Bratislava. Komisch, Anzeige am Gleis normal, Zug käme, pünktlich. Leute am Gleis unbeeindruckt, irgendein Insider-Wissen? Ipad fragen, Internet: „Fahrt fällt aus“. Nächster Zug in der Liste heißt „Aktuelle Alternative“, selbes Gleis, selbe Zeit, selbes Ziel, wir machen lange Augen, was unter „Ausfall“ zu verstehen ist: Aha, Zug heißt statt EC 459 jetzt EC 60 459, sozusagen kommt der Zug nicht persönlich, sondern sein Zwilling als Vertretung. Ein Klon-Zug, und das zu wissen ist, wie mir das erste mal hier offenbar wird, so wichtig, dass man Leute am Gleis gern in Schrecken versetzen kann. 7:30 Uhr, schöne, stille, planmäßige Fahrt, Abteil, ein Mann bei schwerer Arbeit am Laptop. Viola isst schon Stulle, ihr Hündchen, in Hundetasche unsichtbar, schleckt was oder schnurchelt. Kurz vor 8, eine Frau möchte auch in unser Abteil. Die Hundetasche, also das Hündchen darin, protestiert, beruhigt sich aber gleich und lässt den neuen Gast mit sitzen.
Prag, Stunde Aufenthalt, kurzweiliger Shopping-Bahnhof, Viola erzählt, zu Corona ist man einfach hier rüber, keiner mit Masken, wo in Deutschland 2G, oder 3G, hier überall rein. Wir setzen uns raus auf eine Bank und essen Violas Muttis Stullen.
Anschlusszug +20 Minuten Verspätung. Viola sagt, Tschechien sei immer so. Noch schlimmer als die Deutsche Bahn? - Als wir endlich im Zug sitzen, Regio-Jet, alles andre als Deutsche Bahn: Kein Sozialdarwinismus, sondern jeder seinen reservierten Platz, wir zweite Klasse, breite Ledersitze wie Deutschlands first class. Jeder einzelne Platz hat einen Ipad-artigen Bildschirm vor sich, an des Vordermanns Lehne installiert, zum Durchscrollen von Infos, Hörstöpsel anfügen, Radiosender hören, Musik, …, so eine class in Deutschland unbekannt. Service kommt herum und schenkt jedem eine Flasche Wasser, so selbstverständlich, dass er das „Thank you“ gar nicht abwartet. Er kommt ein zweites mal rum und schenkt jedem mit freundlichem Lächeln einen Kaffee, Saft oder Tee. Ein drittes mal, Zeitungslektüre. Frohes Schnattern, so entspannt und gleichmäßig, dass einer schlafen kann, zugleich lebendig, kann einer wach und munter arbeiten. Service kommt ein viertes mal rum, holt den Müll ab. Viola meint: Nächstes mal probieren wir die erste Klasse, was wird da noch kommen! Ich frage Viola noch mal: Ist das hier wirklich zweite? Ja, 2 B, die schlechtere Zweite! Eine solche Fahrt 4-5 Stunden, 300 km, 18 Euro (Prag - Bratislava), während Deutschland: stehend in elende Waggons gepfercht 2-3 Stunden, 150 km (Leipzig - Brandenburg/Havel), schon 50 Euro kosten. Die Gepäck-Ablage über den Köpfen ist gleichzeitig ein gedämpfter Spiegel, 10 Sitzreihen lang sieht man die Leute von oben gespiegelt: vorn spielt einer Schach an dem Lehnen-Bildschirm.
Stunde in Bratislava ziemlich kurz, Bustickets und Abendessen besorgen, Viola fragt slowakisch am Schalter, ob die Frau Englisch kann, die Frau schüttelt entschuldigend den Kopf, da weiß Viola wie aus der Pistole auf slowakisch: 2 Tickets nach Zvolen bitte, die Frau strahlt, slowakisch hört man hier gern. Die Pizza auf der Hand ausgezeichnet! Viola sagt, Pizza ist geheimes Nationalgericht. Der Bus steht schon, wir wollen unser Gepäck in den Laderaum schaffen, Busfahrer fragt, wohin, Viola sagt: Zvolen. Er guckt fragend. Nochmal: Zvolen, Swollen, äh, hm. Andere Leute - Wohin? - Zvolen. Deren Zvolen klingt genauso wie Violas, nur dass er‘s bei ihnen gleich versteht. Schöne ruhige Busfahrt, immer glatt Autobahn, ohne Kurven und Ruckel, getönte Scheiben wie Sonnenbrille, Sonnenbrillenbus, oder fahrende Bussonnenbrille, lebensfrohe 80er-Musik, und ich zeichne.
Vor Zvolen Landschaft wie am Rhein, Viola sagt: Nicht Rhein, sondern Hron!
Einfahrt in Zvolen wie Rügen Prora, graue, hohe Platten, historisch, niemals geschönt worden, wie Aussageabsicht: Hier gibt‘s nichts zu schönen. Genau das macht sie schön wie Gruselburgen. Viola sagt, das Gebäude ist die Uni. Hündchen muss Beine verteten. Im Busbahnhof, -tunnel, -halle warten fühlt sich fast an wie unter der Brücke schlafen, man wartet wie ein Verwarloster, ich sehe erst nicht so genau hin, wie die vielen lungernden Gestalten aussehen und was sie im Schilde führen, und als ich doch mal hinsehe: Lauter Ordentliche, wie wir durch die versüffte Buswartehalle in Verwahrlosungsverdacht, ins Verwahrloste hinein gezogen. Bus fährt ein, nur noch halbe Stunde Fahrt, und Viola sagt, der schönste Abschnitt der ganzen Reise, am Fluss entlang, Sicht auf Felsen, Grün, Tal, Banska Stiavnica war ein Vulkan. Und hier steigen wir aus, da ist auch schon die Wohnung, 5. Stock, früher war‘s Neubau, wir sagen aus Gewohnheit immer noch Neubau zu Vertretern dieser Gattung.
Treppenflur hoch, alles Wohnungstüren, wie „Zuhause“. Wir haben Flur, zwei Zimmer, Balkon, Küche, Bad, Dusche, nett eingerichtet. Hündchen ist ein Läufer, halb 10 und noch mal Stunde raus den Ort begrüßen, die Gassen, Treppen, Lämpchen, Sterne, …, er kennt alles noch von vor 5 Jahren, als Viola mit ihm hier gewohnt hat, Stipendium damals, und viel hat sich verändert.
(Am nächsten Tag Faktencheck: in ausgeruhtem Zustand Stockwerkezählen, wir wohnen nicht fünften, sondern dritten, gefühlten fünften.)
12 Uhr, ungefähr 200 Meter sind wir schon weit gekommen. Man wird relativ wenig von Passanten angesprochen, Slowaken respektieren von einem, der öffentlich und auffällig sitzt, die Privatsphäre. Als wir vor der Kunstschule sitzen, Zeichner vor der Kunstschule, wundert es die Leute vielleicht nicht, oder sie denken, wir sind Studenten. Was die Sonne in drei Stunden wandert, sieht, wer an seinem Bild ne Stunde gemalt hat, und beim Aufblicken entgeistert feststellt, dass er nun ganz andern Tatsachen gegenüber sitzt und so wie‘s jetzt aussieht, noch keinen Fleck davon geschafft hat.
Das Hündchen weiß weit im Voraus, ob ein in der Ferne Kommender vorhaben wird, uns anzusprechen, oder nur vorbei zu gehen: Es bellt nur, und nur dann, als einer hinten auftaucht, der sich dann tatsächlich mit dickem Bauch neben uns stellt und guckt. Hündchen wusste das. Gruppe anstrengender Kerle, ’s bellt nicht, stimmt: Sie wollen uns nämlich gar nichts. Schulklasse nett plappernder Kinder, ganze Horde bleibt still vor uns stehen und guckt. Lehrerin spricht uns an, aber wir haben den Vorteil, schulternzuckend „Sorry, don‘t understand“ sagen zu können, sie nicken und gehen weiter.
Zu jeder vollen Stunde Hornblasen über die Stadt, dass der mittelalterliche Mensch die Zeit weiß, also jetzt 12 Uhr, und Glocken läuten, naja - bimmeln, hübsch.
Mittagshunger. Wir kommen ungefähr noch weitere 200 Meter, als Viola freudig von einer Frau begrüßt wird. „Ah, das ist ja Mat’a! Keramikerin.“ Ich stehe ein Weilchen dabei, wie die beiden sich über Neuigkeiten austauschen, die Frau schuckelt ihren Kinderwagen: „We could walk a bit!“ Ich sehe die nächsten Stunden das Malen auf Eis gelegt, und die zum Malen verlockende Stadtansicht, die zur Kirche ansteigende Straßenbiegung vor uns ausgebreitet, ein Café, den perfektesten Sitzplatz direkt neben uns, wo wir stehen, unglaublicherweise frei. Mat‘a: „You can visit Silvia! She is at home at the moment“ - „Oh, yes!“, freut sich Viola, ich zeige auf den perfekten Cafè-Ausblick-Malplatz, die beiden sind nicht mehr störbar. Schon sitze ich. Schönen Kuchen hat die alte Dame am Nachbartisch. „Greentea and this cake please“, sage ich zur Kellnerin. „Oh, this is out, we have Brownies!“ - „Oh, schade, ok, a Brownie please.“ Als ich eingedeckt bin und Malzeug ausgepackt, höre ich Viola zur Freundin: „Yes, see you, yes, ok, see you, yes, …“ - und schließlich sitzt auch Viola, „One cappuchino please … Das geht hier immer so, weil mich doch alle kennen. Wenn ich hier bin, muss ich alle mal besuchen“ - „Ja klar, die ganzen Kontakte, ich geh‘ dann einfach malen und, …“, was rede ich, denke ich, so wird mich nie einer kennen, und male weiter, Viola am Handy simst ihre Bekanntschaften durch und plant, „Oh, Ryan ist in Prag!“ Einige sms später: „Ryan kommt nach Banska! Ach je, das ist ja der Tag, an dem mein Bruder auch her kommt!“ - Wir sitzen ein Stündchen. Mein Postkarten-Aquarell ist fertig, Viola macht Korrektur-gucken: „Du könntest hier noch, also das hier ist mir nicht klar“, stimmt, noch ein Fleck hier, noch ein Strich da. Ich habe mein Bild gemalt, Viola hat durchgegrübelt, wie gar nicht alle Freunde in die zwei Wochen Banska rein passen.
Etwa vierzehn Uhr, wir kommen ca. 30 Meter weit, da war gestern schon im Schaufenster so eine Tasse!
Viertel Drei, Tasse im Trolley. Auch Viola konnte nicht ohne Tasse, kann hier nie ohne, sagt sie. Auch ihr Bruder kommt immer mit Tasse raus. Immer noch Mittagshunger. Wir kommen noch 500 Meter weiter, und ohne Vorkommnisse ins Monarchia, kenn ich noch von vor 5 Jahren. Aquarell vom Ausblick gelingt mir nicht. Essen.
Wie üblich wurde uns die Speisekarte schon wieder weg genommen, so kann ich jetzt nicht prüfen, wie mein Potato Dumpling with Sauerkraut auf slowakisch hieß. Viola hatte das gleiche, nur statt Sauerkraut cheese, und zeigt mir, als ich frage, die Bezeichnung am Handy: Bryndzové halušky.
Viola liest unsere ersten Texte und lacht sich „scheckig“. Ich schreibe wieder, Violas Zeitgefühl ist so eingerichtet: Wo einer für gewöhnlich nach Wochen Urlaub sagt, endlich sei er entspannt, sie jetzt, am ersten Tag seit Ankunft, sagt endlich sei sie entspannt. Nach slowakischem Essen denkt man, wenn das mal gut geht, und braucht man was: Schnaps, Espresso, … Die Amerikaner am andern Tisch bestellen Espresso, Viola sagt: „Small Espresso“, ich sage „Big one please“.
Übersatt Spaziergang, diesmal schwer zu sagen, wie viele Meter oder Kilometer: Am Friedhof vorbei, den wir vor 5 Jahren gemalt haben („Jenseits“) - werden wir uns noch mal für übermorgen oder so vornehmen. Und einen Ausblick nehmen wir uns vor, und die Burg, und auf hohem Waldweg nehmen wir uns den auch vor, und am „Klinger-See“, so glaub ich, hieß er, nehmen wir uns auch den vor, smaragdgrüner, kalter Bergstausee, paar Verrückte baden. Wir dachten vorhin in der Hitze auch, dass wir, …, Badesachen dabei, aber wär ja verrückt, hier in der Höhe im Zugwind. Im Winter soll‘s Eisbader geben, und Viola hat da mal ein Loch im Eis gesehen. Sie zeichnet einige ernste Striche, ich komme nicht mal dazu, einen Versuch überhaupt in Betracht zu ziehen. „Wir kommen noch mal her, mit langer Hose und Pullovern“, glaub, hab blaue Lippen. Weg zurück, Rotte Radfahrsportler-Invasion, obwohl, so alte, dicke? Viola: „Och, überall E-Räder! Früher war ich ganz alleine oben auf dem Berg, ohne E-Räder kamen die nie und nimmer da hin!“ Viola und ich sind gerade auf schmalem Weg an steilem Abhang im Wald, kommt die ganze Rotte von hinten angebraust, wer rechnet denn hier damit? Hündchen, vor Entsetzen so irritiert, dass es blindlings in falsche Richtung nach hinten umkehrt in die Fahrrad-Rotte rein, die dreht und lenkt ihre Räder umher, springt ab, Viola rennt, Hündchen, so klein und flink, verwirrt immer tiefer rein, ich seh‘s schon voll Schreck überfahren, nein, da steht jetzt Viola an Rand gedrängt und Hundeköpfchen guckt ihr vom Arm, in Sicherheit. Ohn Unterlass noch ein Rad, noch ein Rad, noch ein …, lassen wir vorbei. Elektro, fürs Klima befahren sie jeden Winkel. Am Friedhof wieder vorbei, erfahre ich, dass man guten Gewissens Rotte sagen kann, ohne Rassist zu sein: Zeigt mir Viola, dass hier ganz viele Rodina auf dem Grabstein heißen, aber dann hat man ihr gesagt, dass es kein Vorname ist, sondern Familie heißt.
Wieder bei Häusern wunderbare Ansichten, und malerisches Totalversagen, immer noch zum Zittern kalt, nein, zu kurze Hose. Viola blaue Finger. Nach Hause.
Hündchen Hunger wie ein Bär: Knabber-Pellets, Fleischrest von gestern, und will von Viola noch Rührei gebraten bekommen, reicht noch nicht, dann Reis mit Butter, Viola springt und wirbelt am Herd und isst nebenbei ihr eigenes Essen. Hündchen tatsächlich irgendwann satt. Zum Schluss auch für uns zwei Menschen Rührei. Halusky hat uns keinerlei Spätfolgen beschert. Wir trinken aus den neuen Tassen und albern schon wieder, müde. Früher ins Bett.
Ausgeguckte Wegmotive von gestern ablaufen. Erstmal in Tag kommen: Ich mit Aquarell, Viola mit Duschen. Mal sehen, ob man alleine mit Malzeug zentral am dollsten Weg sitzend in Ruhe gelassen wird. Tatsächlich, Slowaken sind vornehm. Viola kommt mich abholen, dann Runde im Kreis.
Wir sitzen auf und an einer Mauer und malen bei Musik: Von unten im Tal Gesang, lauter Männer, ein richtiges Lied, dann aus dem Haus vor uns artistisches Schlagzeug. Dann Hornblasen für die Uhrzeit: 11 Uhr, dann glockenspiel-artige Melodie - wir haben noch nicht heraus gefunden, von welcher Kirche, und noch eine von woher. Viola sagt, hier in Banska singt immer einer vor sich hin, und nach Osten hin wird‘s noch musikalischer, dort singt und tanzt man sehr viel.
Nachts vergessen, das Ipad aufzuladen. Akku runter. Schreiben ab gleich auf Papier. Ein analoger Tag steht uns bevor.
Nachgetragen:
12:15 Uhr wieder im Halusky Lokal, in der Sekunde, wo wir uns unter großem Sonnenschirm setzen, Regen. Sonnenschirm jetzt gegen Regen. Ob der Ausblick heute gelingt? Menü, ich Stroganov, Viola was mit Hühnchen. Als Essen gebracht wird, mir ein Schnitzel mit Kartoffeln, Viola Reis mit Pilz-Fleischstückchen-Soße, sind wir nicht sicher, ob jeder seins hat, aber wer weiß, was unsere slowakische Bestellung genau bedeutet hat. Sieht gut aus und schmeckt. Stroganov ist Schnitzel?
Vornehme Damen treffen ein, festlich angezogen, begrüßen sich wie welche, die sich einmal im Jahr sehen. Verschwinden im Innenraum.
Malerei-Versuche, Gewitter, Hagel, wir sicher und trocken, irgendwie so komische, hunderte Grieselfleckchen auf dem Bild, und die Farbnäpfe ungewöhnlich nass, auch das unbenutzte Papier nass, und mein Pullover, ach: unser Sonnenschirm lässt wie ein feines Sieb verstäubte Tröpfchen auf uns rieseln, Viola, schneller von Begriff als ich, sitzt schon in Regenjacke. Trolley nass, und fertige Bilder drin in Gefahr! Schnell packen und rein! Tisch in sehr guter Ecke, neben der Damen-Tafel.
Eine steht auf und hält eine Rede. Andächtig und vornehm wird gelauscht und genickt. Festlich Wein serviert. Hier in Banska wird der Gast, haben wir auch gestern so erlebt, einmal bedient und über unbefristete Zeit sich selbst überlassen, Viola überlegt, wie wir an Kaffee und heiße Schokolade kommen. Bin zu beschäftigt, die Damen-Tafel muss unter den Bleistift! Als die drei rechten Damen ganz gut auf dem Papier sitzen, kommt Kaffee zu mir und Schokolade mit großem Schlagsahneturm zu Viola. „Ach, hast du bestellt?“ Viola war - hab ich gar nicht bemerkt - durch die Räume Bestellung suchen gegangen. Viola zeichnet den Ausblick. „Oh, es hat aufgehört zu regnen! … naja, Bilder machen wir noch fertig.“ Etwas später: „Oh, es regnet schon wieder! Gut, dass wir noch sitzen.“ Bald: „Regen hat wieder aufgehört!“
Der Damen-Tisch bekommt Gerichte serviert, Gabel- und Messergeräusche, Köpfe alle runter, passt mir nicht ganz ins Bild, wo doch eben mit Wein alle hoch und im Gespräch waren. Ist immer so: Will man die trinkende Gesellschaft, muss man so schnell zeichnen, bevor sie eine essende Gesellschaft wird. Tisch wird abgeräumt, Gesättigte lehnen sich zurück, Runde wird lauter, zufriedener. Viola schmunzelt: „Wie immer alle durcheinander reden!“ Irgendwann horchen wir auf, als es so still wird, nur eine einzige Dame spricht noch, alle Blicke zu ihr, sie muss offenbar etwas so Brisantes erzählen, dass alle andern ihre Gespräche unterbrochen haben und dorthin lauschen, auch Viola und ich jetzt, die wir aber ja nichts verstehen. Eine stimmt zu, und weitere ein, neue Welle von Ineinander-Reden. Viola: „Die unterhalten sich über Krankheiten! Doktor und so einzelne Worte hab ich raus gehört.“ Weltweit dasselbe.
Wohin gehen wir jetzt malen? Wir stehen an der Kirche mit den grünen Dächern, die gestern in mein Aquarell kam, und gucken die Straße hoch oder runter. Ich habe noch mein Lieblingsmotiv, die Damen-Tafel, im Kopf, bin zeichnerisch satt und zufrieden, egal wo jetzt hin. Viola lotst mich den steilsten, steinigen, regen-glitschigen Waldweg hinauf, ich erinnere mich wieder: vor fünf Jahren. Der See oben traumhaft, smaragdgrün, nicht malbare Farben. Restlichen Nachmittag dort. Hornblasen für Uhrzeit bis hier oben zu hören. Zum Baden wieder zu kalt. Hündchen sitzt in Decke gewickelt, nur Schnäuzchen guckt raus. Ist aber zappelig, verliert die Decke und zittert. Etliche Aquarelle vom nicht Malbaren. 18 Uhr, Zeit für Rückweg.
Uns fällt ein, dass wir Einkäufe bräuchten, das Hündchen versteht’s nicht: Mehrmals bleibt es hinter uns und guckt uns fragend an: Wieso jetzt rechts lang? Wir wohnen doch links! Einmal zieht es sacht an der Leine: Andere Richtung! Aber fügt sich in sein Schicksal und kommt ratlos mit. Es denkt sich wohl: Ob die Mädels sich grad verlaufen? Finden die unsre Wohnung nicht mehr? Aber hab ja hier nichts zu sagen, was ein Hund alles mit macht …, immer bergab.
18:50 Uhr Express-Einkauf halb im Tal, und zurück bergauf. Hündchen jetzt wieder optimistischer: Frauchen und Freundin endlich auf richtigem Weg. Viola hat eine Idee: „Wir könnten zur Kalvaria laufen!“ - „Wie, jetzt?“ Viola ist ja alles zuzutrauen. „Joa, nach dem Abendbrot.“ - Ich sag ja, Viola ist alles zuzutrauen. Wenn man nicht aufpasst, wandert sie gleich noch mal an den Bergsee. Zu Hause merken wir, dass ein Tag von Acht bis Neunzehn Uhr, malend, frierend, durchnässt, wandernd, immer wieder malend, berg hoch, berg runter, irgendwie müde macht. Schreiben nur noch, lesen, Hündchen schläft eingewickelt in der Decke auf der Couch.
Morgens größerer Einkauf, langes Frühstück, halber Tag vorbei, denk ich, immer mit Uhr, aber ist erst vor 9! Auf dem Weg zum Vodarenska Ausblick malen.
Bank an prominenter Aussicht. Viola zweites Frühstück. Ich Aquarell, Viola dann Zeichnung. Fummelige Häuschen in der Ferne. Viola erzählt mir von einem Zungenbrecher-Wortspiel: zu deutsch „Steck den Finger in den Hals … das heißt strk prst krk“ - Ich gucke kurz rüber, was Viola für Geräusche macht: spricht slowakisch, das r muss entsprechend gerollt werden: „Strk prst krk. Slowakisch kommt oft ganz ohne Vokale aus. Als ich hier gewohnt hab, meinten viele, Viola sei ja slowakisch, aber das stimmt nicht! Das ist Latein, und die haben das nicht geglaubt, weil hier so viele typischerweise Viola heißen, da hab ich gesagt, so viele Vokale, das kann nicht slowakisch sein, aha, ach so ja, meinten die“. Rechtsseitig im Tal blökt ein Mann. Links antwortet ein Hahn. Da fällt mir ein: „Die Nachbarn meiner Mutti haben Hühner, und wenn sie bei der Gartenarbeit was zu denen sagt, antworten die auch immer.“ Irgendwo bellt ein Hund, wieder antwortet der Hahn. Eine Schulklasse geht die steile Straße, die wir malen, zur Burg hoch. Wir sitzen einige Stunden. Die Schulklasse kommt von der Burg wieder die Straße herunter.
14 Uhr. Glockenspiel-Melodie von einer Kirche. Viola sagt das selbe, was ich denke: „Och, die Melodie klingt so traurig.“ - „Ja, als wär‘ ein Minenarbeiter gestorben.“ Nicht düster, eher hell und lieblich, wie wenn einer endlich von Qualen erlöst ist, aber man ihm wehmütig nachweint, weil er so fern ist, so klingt es. Es scheint von der gründachigen Katharinen-Kirche zu kommen, die ich zu Anfang auf der Postkarte gemalt hab.
Vodarenksa-Stausee
Auf der anderen Seeseite gegenüber vor der Waldwand ist FKK, unsererseits ziviles Baden. Ich sitze kaum auf der Wiese, springt Viola schon ins Wasser und seh ich sie da herum schwimmen. Puh, ich dachte mehr so an eine Prozedur, an ein Kälte-Überwindungs-Zähneknirsch-Erlebnis, aber so einfach rein? Ich schreibe erstmal Texte. Wieder draußen, googelt sie noch mal nach: „Ah, das heißt Strč prst skrz krk - Steck den Finger durch den Hals. Das ist ja sogar noch komplizierter.“
An der Waldecke machen zwei Feuer. Weißer Rauch schwebt über das edelsteinfarbige Wasser. Die Sonne brennt, kaum zum Aushalten. Wolken legen sich kurz davor, schon ist‘s so kühl, Thermo-Vliesjacke. Sonne wieder da. Ein Falkner betritt den Damm wie eine Bühne! Raubvogel auf dem Arm, alle Leute aufmerksam. Wirft den Vogel in die Luft, der flattert in nächsten Baum. Der Falkner ruft und wedelt mit einem hellen Flauschbällchen: „Ricki! Ricki!“ Ricki lässt sich Zeit und genießt es, im Baum versteckt zu sitzen. „Ricki, hopp! Ricki!“ Kommt schließlich doch noch, schwebt, wie ein Pfeil, zurück auf den Arm des Falkners. Zwei malerische Rubensfrauen vom Baden machen sich fotogen: Viola soll sie zusammen mit Falkner und Vogel am Gebirgssee fotografieren, sozusagen Rubens - Ludwig-Richter-Kollage. Der Falkner lässt den Vogel einmal ganz nah an uns vorbei fliegen. Wie stramm die Flügel gespannt! Einmal den richtigen Luftzug gefunden, gleitet er ohne Bewegung, wie schön braun gemustert mit grau! Viola erzählt von einem Bekannten, dem der Vogel einfach im Baum geblieben ist, der musste am nächsten Morgen aufgesucht und eingefangen werden.
Sonne wieder heiß zum gar werden. Waldrand zum Frieren kalt. Der kleine schmale Steg wirft einen winzigen halben Schatten, der sieht genau mittelwarmkalt aus, da setz ich mich hin, aber sogar der stellt sich dann als zu kalt heraus. Ich spaziere um die Schattenseiten des Sees und mache Fotos. Gemalt wird‘s einem eh keiner glauben, wie das rotbräunlich anfängt und zum ertrinken steil ins Grün wechselt. Jetzt sitz ich im Kühlen, sehe Viola hinten in der Sonne, und stelle fest, dass es sich im Kalten doch gut sitzt.
Christoph liest unseren Text und schreibt: r wie in krk ist eine liquida sonans, die einen Vokal impliziert, entweder vorher oder hinterher. Viola und ich googeln und lassen‘s uns von einer Online-Stimme vorlesen, es klingt wie kryk.
Ruhiger Ausklang des Abends am selben Ausblick von heut morgen. Blick auf die Alte Burg. Kurzes Aquarell.
Zu Hause darf ich nicht durch die Stube in mein Zimmer: Hündchen springt dort, kaum aus der Tragetasche raus, im Kreis, bellt und knurrt alle an: will jetzt sofort zu essen! Übertagsportionen haben nie und nimmer gereicht! Der Bodenbelag im Flur ist so glatt, dass Hündchen ihn mit rutschigen Füßen nie betritt, so setz ich mich in die Küche, Hündchen steht auf der Stubenschwelle, ich seh das Köpfchen um die Ecke gucken durch den Flur zu mir in die Küche, Viola rennt und bringt ihm Reis-Ei-Schälchen. Hündchen frisst zufrieden und lässt wieder die Stube passieren. Entspannt legt‘s sich in Violas Bett und lässt uns machen. Ich schreibe Text weiter, Viola ruft aus der Küche: „Essen ist fertig!“ - Was, für uns Menschen auch? - freu ich mich überrascht. Nach drei üppig belegten Brötchen am See? Jetzt Nudeln mit gutem Käse und gebratenen Zwiebeln, sieht sogar auch slowakisch aus. Abwasch, Geräume, Hund und Mensch hundemüde ins Bett.
Zur Kalvaria ist es ein Katzensprung, wir sehen sie direkt von der Wohnung aus, erste Skizzen an der Straße. Weiß nicht warum, denke ich immer an Paul Klee, gestern schon. Violas Bild entspricht mehr der Wahrheit.
Vor fünf Jahren haben wir bei unserer Kalvaria-Besteigung Bücher dort gekauft, Viola hat eins dabei, und wir können uns informieren, wie hier zu pilgern und an jeder Station welche Szene anzubeten ist.
An der ersten Station zweites Aquarell. Leute auf dem Weg kommen zuerst an mir vorbei, überlegen wahrscheinlich, was ich mache, sagen nichts, kommen an Viola vorbei, sind entschieden, was zu sagen. „Die Leute fragen mich dauernd, warum ich hier unten sitze und nicht hoch gehe. Da wär ein viel schönerer Ausblick zum Malen!“ ruft sie zu mir herüber, ja, da oben kommen wir auch noch hin.
In der Ferne hinter uns aus der Stadt Polizei-Sirene, ganz anderes Heulen als in Deutschland, mehr ein Pfeifen, das offenbar die Hunde sehr anspricht, lauter Hunde stimmen ins Heulen ein, es pfeift und heult und bellt aus den Straßen und keiner kann‘s überhören. Obwohl Violas Hund eigentlich auch gern singt, hört er jetzt nur zu. Welcher Jesus-Szene gilt denn eigentlich unsere Station? - Station 1: Jesus verabschiedet sich von seiner Mutter. Farbiges Relief in dem Häuschen, wenn man durchs Gitter rein guckt. Deutscher Text in schnörkliger Schrift:
Beurlaubung.
Mein Scheiden, o Mutter! lass dir nicht fallen hart,
die ganze Welt mit großer Sehnsucht auf ihr Heil wart.
Viola hat Malkrise, weil immer Leute stören. Ich bin fertig und setz ich mich zur Abschirmung daneben. Hoffentlich wird ihr Bild noch, hat so gut angefangen. Zu allem Übel Schulklasse neben uns. Ein paar ganz Liebe singen. Bisher schienen uns slowakische Kinder, von denen wir schon viele sahen, wesentlich besser erzogen als in Deutschland, und sehr niedlich gekleidet. Schulklasse jetzt trotzdem laut, liegt in der Natur, eine Tüte wird zerknallt, ein kräftigeres Mädchen mit fieserem Lächeln ist stolz drauf, bekommt aber keine Beachtung dafür. Quäkende Lehrerstimme zur Kinder-Übertönung klingt genau wie in Deutschland. „Ah, sie bekommen was über Bäume erklärt.“ sagt Viola. Sie wandern weiter, man hört sie nur noch von Ferne: Lehrerstimme fragt was, lauter eifrige Kinderstimmen rufen eine Antwort.
Weg Berg hoch. 2. Station: Jesus Teufel Versuchung. 3. Jesus Fußwaschung … Keine Reliefs mehr, sondern Abbildungen. Die Originale sind im Alten Schloss ausgestellt.
Der Berg sehr windig, Sonne heiß. Das Gras ist gemäht. Hinter uns fährt auf dem Feld ein Mäh-Traktor seitwärts den Abhang hin und her. In der Unterkirche (Slowakische Kirche) sind unter den Türmen links und rechts Andachtsräume, sowie ein großer in der Mitte, daran ein Nebenraum mit Shop, woher wir von damals noch die Bücher haben. Weiter zum Häuschen Nr. 7, „Gebet Jesu am Ölberg“, suchen einen Platz unterm Baum und malen die rote Kapelle der heiligen Stiege. Leute auf dem Weg grüßen immer: „Dobri“ für Dobri den. Wir Deutschen sind gewohnt immer „Tag“ zu sagen, Slowaken sagen also „Guten“.
14 Uhr Mittagshunger. „Wir gehen einfach runter ins Lokal und danach noch mal hier hoch.“, schlägt Viola begeistert vor (Sowas wie k.o. oder zu viel Berg-aufwärts ist ihr unbekannt). „Wie, noch mal hoch?“ - „Na ist doch nix, geht doch ganz schnell.“ Deshalb sehen die Wege in Violas Bildern so flach aus, und in meinen so steil.
Vorübergehend wieder unten, leckerste Makové šúľance, Schupfnudeln mit Butter, Mohn und Sahne. Weißer Puderzucker auf schwarzem Mohn. Es hätten vier solcher Nudeln gereicht. Viola muss mithelfen. Slowaken haben dafür eine ganze Seite Schnäpse in der Speisekarte. Ich versuch‘s mit Kaffee. Wir lesen, dass die Heilige Stiege aus 34 Stufen Eichenholz besteht, für 33 ein halb Christi Lebensjahre. Pilger sind die Stufen auf Knien hoch.
Wir treffen keinen fleißigeren Pilgerer als Viola und mich, heute schon das zweite mal halb hoch, und probieren, wie das ist mit Knien auf dieser Treppe, nicht alles, nur paar Stufen: Viola hat mal gesehen, dass man nicht auf Knien direkt Stufen steigt, sondern normal zu Fuß eine Stufe, hin kniet, sich bekreuzigt, aufsteht, mit Fuß normal Stufe steigt, kniet, bekreuzigt, …, Art Kniebeuge-Sport und Konzentration, dass man Hände und Füße nicht verwechselt. An sich sieht das plausibler aus, als wenn ich wirklich direkt auf Knien die Stufen hoch gehe, obwohl letzteres recht bequem funktioniert, wie ich feststelle, das wird nur die Knie wund machen, aber nicht so anstrengend sein wie Violas Sportübungen.
19:40 Uhr. Seit Stunden nur noch selten jemand hier oben. Viola führt mich einen besonderen Weg nach Hause, verwunschene, abseitige, geheime, gruselige Pfade, an in Wald und Hang versteckte filmreife Hüttchen, die leer stehend aussehen, aber bewohnt sind, wo niemand einen finden würde, schaurig schönes Verfall-Dämmerlicht durch oronge-rosa Wolken.
Spät zu Hause, vielleicht halb 10, zwei Hühner (kleinere Packungen nicht zu haben gewesen) für ein Hündchen, das kleiner ist als manches Huhn. Viola und ich mussten uns am Mahl beteiligen.
Touristenmassen in der Stadt. Andere Mentalitäten unterwegs. Amerikanisch zu hören. Eine rote Touristenbahn, heiße Sonne und kalte Schatten. Viola ist für einen Tag nach Banská Bystrica zu ihrem Cousin.
In der Straße, die ich mir zum Malen vorgenommen habe, ist mir ein Kunstmarkt dazwischen gekommen, voll Stände und Leute. So sitz ich jetzt wo anders, schönste Häuserfarben, die ich für typisch slowakisch halte, ob das stimmt? Viola hat zumindest von einem Haus erzählt, dessen Inhaber sie kennt, der von woanders her kommt und es restauriert, sehr schön, aber untypische Farben. Und wenn nun immer mehr aufgekauft und in fremden Farben restauriert wird, und ich wusste‘s nicht, und denk: slowakisch?
Ich ans ChatGpt:
Hallo, können Sie mir das bitte ins Slowakische übersetzen: „Guten Tag, 5 Briefmarken nach Deutschland bitte.“
ChatGPT:
Hallo! Natürlich kann ich Ihnen helfen, diesen Satz ins Slowakische zu übersetzen. Hier ist die Übersetzung: „Dobrý deň, prosím, 5 známok do Nemecka.“
Ich google slowakisch fünf, erscheint im PONS pät´. Den Satz murmelnd Straße runter zur Post, Post geschlossen, sobota nur bis 10, jetzt ist 11.
Zurück zu den slowakischen Farben, kurz malen, aber zu viel Unruhe, Touristenwanderungen. 13 Uhr ins gewohnte Halusky-Lokal, die Kellnerin kennt mich ja nun schon. Viele Leute diesmal, alle Tische besetzt, nur ein kleiner in der Ecke für mich frei, perfekt zum Leute zeichnen.
Schafskäse-Halusky und Grüntee. Ein Baby hebt zum Schreien an, also schreit, für deutsche Ohren ein Klacks, der Deutsche, falls er es überhaupt hört, also „kinderfeindlich“ ist, geht davon aus, dass es jetzt für die nächsten zwei Stunden so weiter geht, bis das nächste Baby zum Schreien anhebt, aber hier ereignet sich etwas Unerwartetes: Vier Kinder von anderem Tisch machen Faxen rüber, lachen das Baby an, das hält inne und macht große Augen, fängt an zu lächeln. Die Kinder singen im Chor ein Lied und klatschen im Takt, das Baby freut sich und strampelt. Die Mutter bringt es zu ihnen rüber, allseitige Begrüßung. Seit dem schon länger wieder Ruhe.
Ich kann sogar heraushören und googeln, was sie gesungen haben:
Ťap, ťap, ťapušky …
Als ich einen Einkauf in Angriff nehme, ganzen Berg runter, ist der Discounter, der Coop geschlossen, 16 Uhr. Viola muss sich geirrt haben: Sagte, es wär sogar Sonntag alles auf.
Viola, gegen 21 Uhr wieder zurück, packt eine Menge Einkäufe aus, in Bystrica alles zu haben. Sie und Cousin waren wandern, haben ein Museum besichtigt, eine Höhle mit Führung besucht, dort waren nur 5 Grad, und so spontan in Sommerkleidung, und in Cafés gesessen.
Wir sehen uns unser Tageswerk an, bei meiner Zeichnung dieser Frau mit Gabel stellt Viola fest, dass man die Gabel unmöglich so halten kann.
Manchmal stelle ich was ins Instagram. Dort mache ich die Erfahrung, dass Außenstehende, also fast alle, mit Spezialitäten wie „Kalvaria“ und auch „Banska Stiavnica“ nichts anfangen können. Genau das hat Viola immer festgestellt, als sie ihre Reisebilder aus der Slowakei in Deutschland vorgeführt hat. Obwohl hier sommers sehr viele Maler unterwegs sind, die demzufolge alle als unverstandene nach Hause kommen. Wenn hier so viel gemalt wird: Vielleicht ist der Slowake deshalb so zurückhaltend im Maler-ansprechen-und-vom-Malen-Abhalten, weil dies Ereignis, dass einer hier malt, so gewöhnlich ist. Nein, sind durchaus interessiert: Heut morgen vollkommen lautlos ein Mann mit Kind hinter mir. Als ich ihn doch bemerkt habe, war er ganz ertappt und erschrocken, und sagte eifrig mit entschuldigender Gestik etwas, wohl, dass er bloß nicht stören wollte. Vorhin Kinder, guckten ganz von Ferne, aber trauen sich nicht heran. Ein mutiger Junge kam angelaufen, auf 3 Meter Distanz, um „Dobri den“ zu sagen, ich erwiderte, und er lief hoch erfreut zu Mutter und Schwester, aber beim Malen zusehen hat er sich nicht getraut, vielleicht gehört es sich hier offenbar nicht. Himmlische Maler-Zustände.
Nun, mal sehen, was morgen wieder ansteht.
Hündchen darf heut nicht mit, nicht erlaubt im Alten Schloss. Es hat zwei Morgenspaziergänge bekommen. Als wir uns aufmachen, klettert es trotzdem in seine Ausgeh-Tasche, dass wir es mitnehmen. Viola stellt es mit Tasche liebevoll aufs Bett und erklärt‘s ihm, da scheint‘s es wohl auch zu verstehen.
Starý zámok, Altes Schloss. Wir setzen uns im Hof erstmal auf einen Balken und meditieren Brötchen essend wie hier zu malen wäre. Siehe Tag 4 letztes Aquarell: Eine Kirche mit kleinen Burgfenstern, von hoher Mauer mit Ecktürmen umgeben, Kirche wie in einer Art Schachtel. Der eine Außenturm, der am höchsten ragt und als Glanzstück zu erst wahrgenommen wird, ist aus ganz später Zeit: Barock mit grüner Haube und wirkt immer etwas spontan hier angebaut, wie von einer barocken Kirche weg genommen und hierher plaziert, oder es fehlt ihm die passende Kirche.
Ein Haufen Leute ballt sich um uns herum, obwohl Malzeug noch gar nicht ausgepackt. Eine Rentnerin fragt uns etwas auf slowakisch. „Sorry, don‘t understand.“ - Sie wechselt ins englisch: „Are you waiting for the guide-tour?“ - „Ah, no, äh, we just äh sit here.“ - „Deutsch? Sie warten gar nicht auf die Führung? Wir suchen, wo die startet, die soll hier irgendwo im Hof anfangen, um 11 hat man uns gesagt“, meint dieselbe Frau fast ohne Akzent.
Schwalben. Da, ein Raubvogel, noch einer, hat sich außen in den Turm gesetzt! Turmfalke vielleicht. Nach erster Skizze vom Hof betreten wir den imposanten, dicken Karner, den ich gerade gemalt habe, die Bestattungskapelle des hl. Michael. Dunkel und kalt-feucht, dumpf, brockige Steinwände und verrotteter Putz. Wie oller Keller, aber ganzer Raum muss voll Wandmalerei gewesen sein, Teile noch erkennbar, feine Umrisslinien, das besondere Blaugrün, das mich sofort an die Bergseen erinnert. Konsolsteine in Wänden. Die anschließenden Rippen fürs Gewölbe sind abgebrochen, heute hölzerne Flachdecke. Ein hohes prächtig geschmücktes Gewölbe muss es gewesen sein. Ein kleines grobes, aber schönes gotisches Fenster mit Blick in Nebenraum, verwunschen.
Nächster Raum genauso kalt und dunkel, kleine Schießloch-„Fenster“. Eine Falltür im Boden. Hier will ich malen, setze mich neben die Tür, gewissermaßen hinter. Habe nicht daran gedacht, dass die nächste Besucherin, vorsichtig im Dunkel durch die Tür lugend, sich fürchterlich erschrickt, als da in der Ecke unten auf Höckerchen was lauert, also ich da lauere. Und so einen Schreck auf Slowakisch - wie soll ich den beruhigen? „Sorry, oh sorry, ach, au wei.“
Raum gelingt mir nicht, Viola Treppe hoch, eine Etage höher, ist erfolgreicher, im Hellen mit Ausblick. Man besucht die einzelnen Türme, entweder von unten, oder an der „Empore“ an der Mauer entlang: In verschiedenen Türmen und Räumchen Kleinigkeiten ausgestellt: verrostete Gegenstände aus Burgzeitaltern (Scheren, gröber als unsere Gartenscheren, Sporen zum Pferdequälen, Schleif- und Schlaginstrumente), Laternen und Kerzenhalter, Folterwerkzeuge, Uhrwerke, Kriegsmaterial, …
Von vor 5 Jahren wussten wir noch: Der ehemalige Wohnturm des Glöckners, so hab’ ich’s verstanden, wurde später Kerker für Minen-Verweigerer, „Himmelreich“ genannt, weil man meinte, man käme nicht lebend wieder. Der arme Mensch wurde als Minenarbeiter geboren und brachte Minenarbeiter hervor, unter Strafe kein Entrinnen.
Ich male draußen von der - Empore klingt zu vornehm, vom hohen Umgang an der Mauer aus, Viola ist nicht ganz schwindelfrei und malt unten. Wer ganz genau in meine Skizze hinein guckt, sieht bei dem Nadelbaum eine große Statue: energischer Typ mit Kanone zwischen den Beinen, Degen in rechter Hand, und in erhobener linker Faust Lanze, und da noch Fahne dran, Sturmfrisur, ein Ausdruck: „Auf in die Schlacht!“ Ich denke, er hätte auch noch Pfeil und Bogen tragen können, und zwischen paar Fingern Axt und Streitkolben, dann kann ihn gewiss keiner besiegen. Wir finden nicht heraus, wer das ist.
Viola muss aufbrechen, Hündchen zu Hause wartet bestimmt. Ich sehe mich um: Kirche von innen nicht wie eine Kirche, eher ein Hof, darin Lapidarium: Paar Sachen aufgestellt, alles, was aus Barock und Stein ist.
Zuletzt noch der größte Turm in der Außenmauer, der allem vorgebaute, eigentliche: Glockenturm, Glocke hängt zum Anfassen, der mächtig große, schwere „Schlägel“ oder wie’s heißt, lässt sich mit bisschen Kraft, vorsichtig, bevor‘s verboten ist, paar Zentimeter anschaukeln. Weite Aussicht auf die Stadt.
Im Hof ein Brunnen, unspektakulär, zum dran vorbei laufen, aber: War einst geheimer Fluchtweg. Zum Fliehen wurde schnell das Wasser abgelassen, und ein Tunnel erschien. Wenn Feinde kamen, das Wasser wieder eingelassen und Tunnel zum Ertrinken geflutet.
Wasser kam aus einer besonders ergiebigen Bergquelle.
17 Uhr Schließzeit, bin der letzte Besucher im ganzen Gelände, ein Wärter mit Schlüsseln, ganz in Schwarz, geht den Hof ab. Hab mich schon gefragt, bei so vielen Winkeln und Treppen, wie sie das machen, wenn noch jemand aus den Kerker-Ecken nicht rechtzeitig vor Schluss wieder raus gekommen ist.
Viola und Hündchen holen mich draußen vor dem Schloss ab.
Abends Einkehr im Kaltenecker, neben dem gewohnten Halusky-Lokal, nur um eine Häusergröße höher gelegen, wir gucken ersterem aufs Dach. Für jeden Grüntee und Safran-Risotto mit Parmesan (slowakisch nicht nachprüfbar: Speisekarte schon wieder vom Kellner entwendet worden). Da steht der gelbe Tee in weißen Tassen, mit gelbem Zitronenstück, und gelber Risotto in schwarzen Tellern. Viola googelt nach dem streitlustigen Kerl: „Socha Starý zámok Banská Štiavnica“, findet etwas auf ungarisch, und wird seit dem von Viren am Handy verfolgt, wirklich ein aggressiver Kerl. Verzweifelt ausgeschaltet.
Ziemliches Stück durch die Sonne hoch gewandert, über den Tajch Klinger, sitzen jetzt vor einem Minen-Eingang. Einen Meter vor der schweren Eisentür ein kalter Luftzug durch den Spalt und die vier großen Löcher. Eine Rinne mit rotem, sacht plätscherndem Wasser kommt rechts unter der Tür raus. Tür etwas öffnen, steht man schon so gut wie in einem Kühlschrank oder in den Klinger gesprungen. Stockdunkel. Viola macht Handy-Leuchte an, wir gehen fünf Meter hinein, fühlt sich an, wie ganz weit tief, und halb verloren, nasser, schleimig glitschiger Steinboden, Deckenbalken. Recht bald wird sicher eine Mauer kommen, die Stollen sind meist zugemauert, und doch gehen immer wieder Leute irgendwo verloren, vor paar Jahren welche. Blick zurück zur Tür, Hündchen als Schatten im Gegenlicht, ist skeptisch auch paar Schritte mit rein gekommen, sichtlich froh darüber, dass wir umkehren, wieder raus in warme Sonne und grünen Wald.
Wir sitzen zehn Meter davor und malen - sollen wir die Tür aus ästhetischen Gründen etwas offen lassen? - „Ach nein, mach mal zu“, meint Viola, „Es zieht so!“
Die ganze Stadt und Berge weit herum sind „durchlöchert wie ein Käse“, 11. Jahrhundert Bergbaustadt des ungarischen Staates. Spätes 12. Jahrhundert Kolonisten aus Sachsen und Alpenland, um Gold und Silber abzubauen. Vorher hat nie jemand hier dauerhaft gewohnt, im 3. Jahrhundert v.Chr. nur saisonal, um im Berg zu graben, vom 3. -11. Jahrhundert keinerlei Funde menschlicher Spuren, so steht‘s im Wiki. Heut einfach nur so hier auf den rauen Abhängen wohnen, oder sogar Urlaub machen und Spaß-Führungen in die Schächte - dekadent!
Im 18. Jahrhundert bekam die Stadt eine Wasserleitung, unter Maria Theresia wuchs die Stadt so schnell, dass sie drittgrößte Ungarns wurde. Kaum liest es sich so, als ging‘s den jahrhundertelang von harter Bergmannsarbeit gebeutelten Leuten endlich besser, scheint ihnen das Leid irgendwie zu fehlen: wurden Kalvarien errichtet, schönes, frommes Nachleiden des Lebens Christi. Viola führt mich nach Horná roveň, nicht weit von hier, nur steil immer berghoch, zu einer zweiten kleineren Kalvaria, eine nicht so offizielle, unter Linden und Wildwuchs, das Hündchen schüttelt und schleckt sich beständig die „Biodiversität“ aus dem Fell, die hier berühmt ist: grashüpfer-artig springende kleine graue Käfer, 3 cm große geflügelte Ameisen - wir staksen steil durchs hohe Gras. Die Andachtssteine stark verwittert. Man erkennt auf dem einen, wie Jesus das Kreuz nicht mehr tragen kann. Wie der Rucksack runter zieht, stellt man sich Jesus, massive Holzbalken schleppend, vor. Damit er oben daran angenagelt wird. Aber nicht nur er, die Schächer mussten genauso ihre Kreuze hoch schleppen. In der glühenden Sonne hängen sie: Die Bösen verquält und verrenkt wie Tetanus-Verzerrte, Jesus als guter Mensch in bekannter Weise vornehm und graziös. Die Schächer abstoßend, da kennt der Christ kein Mitleid, Jesus dagegen schön, anbetungswürdig. Zwei Frauen-Skulpturen aus Stein weinen jämmerlich zu seinen Füßen.
Christoph schreibt: Im Kontext sieht euer Bild vom Bunker oder Schacht aus wie die Osterfrauen vorm Grab ... fehlt der Engel.
Wanderung weiter durch Fichtenwald, weiche Erde ganz aus braunen Nadeln. Viola zeigt mir lauter Krater mitten drin: Hunderte Meter unter Tage Stollen eingebrochen, zieht es die Erde wie ein Sog oder Trichter hinab, von Wärtern eingezäunt, bevor jemand rein rutscht, man sieht manchmal nicht, wie tief das Loch geht, so steil. Am Weg entlang auch eine Wasserrinne vom Bergbau. Manche Berge, über die wir laufen sind „Halden“, wo die abgebauten Steine entsorgt wurden. Viola erzählt, die Gesamtlänge der Tunnel in dieser Gegend reicht - weiß sie nicht mehr genau - einmal oder einhalb mal um die Erde!
Der Wald öffnet sich, unser Weg wird ein Bergkamm, links auf unserer Höhe so ein olivgrüner Bergsee aus der „Kalvarienzeit“, der Ottergrund, dahinter Berg mit Pferden, rechts tiefer Abhang und weiter Ausblick auf ganz Banska Stiavnica. Kleine Fischlein machen unentwegt kleinste Sprünge, nicht Platschen, sondern kurzes Knacken, feines Knistern. Viola malt und hält danach die Füße ins Wasser. „Ah, was! Die knabbern an meinen Füßen! Au, haha! Guck mal!“
Abstieg in die Stadt. Pizza Ottergrund für jeden. Morgen früh ist schon verplant: Viola muss noch mal zum Ottergrund wandern, Handy dort im Gras vergessen, bekommt‘s zu den gestrigen Viren am Ende noch Zecken. Über Nacht wird es niemand finden.
Heißer Tag, Viola, Hündchen und ich sitzen am Neuen Schloss mit Aussicht auf Stadt und Berge. Wolken wandern und verteilen das Blau auf dem Wald in ständig anderen Formen. Meine Wasserflasche hat gerade soweit gereicht, dass wir durch Hitze hoch gewandert sind und uns gesetzt haben. Viola, die, wie schon mal festgestellt militärtauglich, immer ganze Kanister herum schleppt, naja, zumindest mehrere Flaschen: Fürs Hündchen, für sich und zum Malen, gibt mir Malwasser ab - aber Trinken! Schloss ist geöffnet, habe mich heimlich an der Kasse vorbei geschmuggelt zur Toilette ans Waschbecken, Mal- und Trinktag gesichert!
Etwas später Viola kurz rein. Als sie wieder kommt: „Oh, die haben mich entdeckt! Die Frau hat mich angesprochen, aber sagte nur: Ach, ihr seid die, die draußen malen! Da durft ich die Toilette benutzen.“ Maltag doppelt gesichert.
Ein Radfahrer - kein E-Bike! - ein biologischer Radfahrer, strampelt locker den steilen Aufstieg hier hoch, fährt einmal im Kreis um die Burg, kommt bei uns wieder raus, grüßt „Dobrý deň“, fährt wieder runter.
Ein großer, in schwarzer Rüstung (wie Polizei) gekleideter Typ kommt hoch und stellt sich breitbeinig vor uns auf mit bösem Gesicht. Oh, das war‘s mit Malen, denken wir. Er sagt unwirsch etwas. - „Sorry, we do not understand.“ - „Ob das Museum geöffnet ist!“ - „Ach so, ja, da unten, unterer Eingang.“ Als er weg ist, Viola: „Gott, ich dachte, der will uns hier weg beordern, dass wir nicht hier malen dürfen! So schlimm, dass die Polizei extra wegen uns hier hoch kommt!“ - „Ja, in Deutschland wird man ständig ermahnt, wenn man irgendwo malt. Im Brühlcenter sitzen doch immer Gauner auf der Erde herum und hören laut Handys, saß ich einmal zum Malen und brauchte die Perspektive, kam Security und hat mich weg beordert! Man darf alles, samt Dreck und Randal, nur malen nicht.“ Und wie wir in Vechta in öffentlichem Park Verbot hatten, den Blick auf eine Insel zu malen. Oder im Leipziger Bildermuseum in Studienzeiten, hat mich Security ermahnt, dort nicht zeichnen zu dürfen, ein Student mit Papier auf dem Schoß und Bleistift störte die Ordentlichkeit. Der Typ kommt wieder raus, jetzt schon? Stapft Berg runter. „Der war nur auf Klo! Deshalb war der so böse, hatte‘s nötig!“ Maltag abermals gerettet.
Jeder träumt von seinen Lieblings-Malmotiven. „Wenn du dich morgen auf die Straße setzt, dann geh ich in den Wald.“, beschließt Viola.
Früher Nachmittag. Die Sonne kommt herumgewandert, wir sitzen nicht mehr im Turmschatten. Zu schade, dass wir gehen müssen. Maltag unterbrochen.
Abends halb sechs. Mails an Christoph: Viel zu heiß bei uns, immer noch. Man kommt gar nicht zurecht. Weiß gar nicht, wo man was malen oder schreiben kann. Sind jetzt schon mal nach Hause gegangen und ganz erledigt von ständigem Sonnenbrand und Berg-Rennerei.
Vor fünf Jahren haben wir das Neue Schloss besucht, Infotafeln zum stehend schmökern: Welche Kämpfe gegen die einfallenden Osmanen hier ausgefochten wurden.
Sehenswert der Ausblick, sowie zwei Ecken mit Gegenständen aus der Zeit. Eine Ecke die der Einheimischen, gegenüber der Osmanen: feinste Ornamente, die schönen, verzierten, vorn spitz hoch gebogenen Schuhe, einiges aus Metall, wohl ein Teppich, wenn ich mich erinnere.
Viola, Hündchen und ich schlafen ein. Gegen 19 bin ich wieder wach, Abendrunde allein, Orange-rosa, diese allabendliche Farbe hat Violas Bildern immer niemand glauben wollen. Jetzt seh ich Banska im Abendlicht, und denk: Violas Farben! Letzte Unruhe in den Gassen, Leute hämmern und sägen zu Ende, suchen Nischen zum Autoparken, führen die Hunde aus. Und dann gehen die Straßenlampen an, selten jemand unterwegs, aus dem Tal lautes Lachen aus einem Haus. Hundebellen hinter Fenstern vom Abhang oben, die Hunde scheinen zu bemerken, dass ich hier sitze, obwohl sie mich von dort nicht sehen, Käfer fliegen summend und klackend gegen mich und Mauer, Laternen flackern und irgendwas surrt monoton. Habe Lust, jetzt immer erst abends raus zu gehen, nachts.
Zu Hause stellen wir fest, dass Viola wohl einen Hitzestich hat, Übelkeit, Schlafen, verrückten Durst. Typischer Maler-Unfall.
Flucht aus der Hitze ins Neue Schloss. Die kühlen Räume genau das Richtige. Alles über Türkenkriege, Ungarn wehrt sich gegen die Türken, Ausstellung zwar ziemlich durcheinander, aber gut als allgemeiner Eindruck.
Untere Etage: Schautafeln über die Schlacht von Mahács 1526. Massive, lange „Schloss-Gewehre“ 16. Jh., Streitäxte 17. Jh., Trommel und Rufhorn, Hakenbüchsen elend große Dinger, die lagen fest und wurden aus dem Graben von mehreren bedient. Aufgewickelte Zündschnur aus Hanfseil. Mörser zum Warnschüsse abgeben. Siebenläufige Burgkanone, Orgel genannt, 16. Jh. Briefe (Faksimiles, ohne Transkription): Lösegeldforderungen von Ungarn mittels Folter türkischer Kriegsgefangener. Slowakische Briefe über die Festlegung der Militärordnung und Einberufung im Falle eines türkischen Angriffs.
2. Etage: Türkische Waffen, viel kleiner als die ungarischen, sehr fein gearbeitete, verzierte. So ausgestellt denkt man, die Ungarn waren im bäuerliches Mittelalter, die Türken künstlerische Präzisions-Schmiede und -Schützen. Hiebwaffen (Jatagane), Hufeisen, Sporen, kleine Äxte und Pfeilspitzen.
Noch mal große ungarische Gewehre, diesmal aber auch schöner gearbeitete, 18., 19. Jh. - ah, auch die Ungarn hatten Kultur. Dann wieder türkische Säbel, lange und kürzere, weitbogige und ganz krumme. Ungarische Hiebwaffen der Kavallerie-Offiziere, Brustpanzer, Streitkolben, derbe Kacheln und Krüge.
Schautafel-Abbildungen von Rüstungen, ungarische versus türkische, letztere viel leichtere, Reiter auf Pferden. Alles nach alten Stichen, ohne Quelle.
Merkwürdig: Woher porträtierte man z.B. Imrich Thököly 1680? Führer der Kuruzen gegen Habsburg. Hat man ihn ins Schloß bestellt und vornehm abkonterfeit bevor man sich gegenseitig umgesäbelt hat? Oder Porträtisten ins Türken-Lager geschickt? Haben sich auch Ungarische Fürsten für türkische Maler hingesetzt? Schlacht-Bilder von Heeren und Burgen: übliche grobe Stiche bei den Ungarn, feinste Buchmalereien bei den Türken.
Im einen Türmchen: Orientalisches Interieur, Prinzessinnen-Anmut, Prunkhaus-Schühchen und feine Lätschlein, glänzendes Tafelgeschirr, Teppiche, Stoffe, alles schöne Ornamente.
Zweites Türmchen: Orientalische Fortsetzung, großer, bunt schillernder - Samowar? - Oder für Shishaas? - Jedenfalls dem damaligen Europäer, und in Violas und meinem Fall heutigen, rätselhafte Geräte für Duft, Rauch, oder sonstigen orientalischen Genuss.
Drittes Türmchen: Laut Beschriftung Wachstube der kaiserlichen Soldaten. Waren die andern Türmchen keine Wachstuben? Bzw. besteht die Wachstube hier aus einem massiven Holztisch, mit schönen, nicht sehr verschnörkelten Metall-Tellern und Pokalen gedeckt, sowie ausgestellte Mörser und Gewehre wie bereits Erdgeschoss. Die türkische Kultur ist ästhetischer.
Viertes Türmchen 19. Jh. Habsburger Rüstungen, frühe Fotos von Offizieren, Blasinstrumente für Marschmusik.
Viola, die zeichnet, weicht kurz anderen Besuchern aus, offenbar etwas zuvorkommend eilig, dass das Hündchen in der Tasche denkt: böse Leute, „Wau! Wau!“ Viola entschuldigt sich, „Pscht, joa, schh.“ Kurz später kommt die Aufseherin und beordert Viola vor die Tür, Taschenhündchen verboten. Naja, Hunde überhaupt. Außerdem hätte Viola ein Video gemacht, was aber gelogen ist. Wann hat Viola je im Leben ein Video gemacht?!
Ich zeichne und schreibe alleine weiter, zeichne eine Zeichnung von Türken nach, krummnasige, strubbelbärtige Reiter mit merkwürdig langen Turbanen. Kommt die Frau zu mir und meckert was. „Sorry?“, frage ich. Sie deutet nach oben, dass da noch weitere Etagen kämen, in einer so fordernden Art, wie dass ihr mein Tun hier zu lange dauert. Aber es ist halb 4, geschlossen wird 5. „Oh, yes, yes“, beschwichtige ich sie schnell, und zeichne lieber nicht mehr weiter. Alle Besucher sind recht eilige Durchläufer und Kurz-Hingucker. Die Frau fegt mit Besen die Treppen. Viola hat immer erzählt, dass die Slowaken immer nur kurz durch die Museen rennen. Lang gucken kennt man hier nicht.
Dritte Etage: Holzschnitt (Abbildung) Greueltaten der Türken, spießt einer Kinder auf, bzw. lässt es an einem Bein kopfrum hängen und schlägt mit dem Säbel drein. Vielleicht auch Greuelpropaganda, denke ich.
Ein Drohbrief (Faksimile): Der Budaer Agas Ali an die Dorfbewohner von Sajba (Strelniky).
Faksimile-Titelblatt der Schrift Descriptie Irruptionis ac devastationis Tartaricae de anne 1668, muss heißen, schreibt mir Christoph: Descriptio und anno.
Schießscheiben: sehr schlichte Tafelgemälde mit Schusslöchern drin. Die Frau macht sich unten mit Staubsauger zu schaffen.
Vierte Etage: Kleine Modelle der Festungen Komárno, Nové Zámky, Leopoldov, Košice, Sobotka.
Schwarz-Weiß-Fotos aus der Gegend aus neuerer Zeit, 20. Jh.
Aber das Eigentliche: Der Ausblick aus den Fenstern zu allen Seiten! Die Straßen, Friedhöfe, Dächer, alles noch mehr von oben und von so dicht, als wir es bisher hatten. Violas Motive, und Viola nicht hier!
16 Uhr, Teehäuschen. Ich schreibe bei Kukicha, Viola malt ihre Kanne Touareg - orientalisch? Nein, afrikanisch: Gundpowder mit Pfefferminze.
Abendspaziergang, Versuche zu malen, Gewitter zieht auf. Dunkle Wolken - wenn man als Leipziger dunkle Wolken schreibt, muss man hier eigentlich einen andern Ausdruck haben, eine Farbe, die gibt‘s gar nicht, sonst stellt er sich die zu nett vor. Die kommt vom Berg her, über den Bergkamm gerast wie ein osmanischer Reiterüberfall, sowas noch nicht gesehen, aber ohne Drohbriefe vorher, ohne Ankündigung! Wir packen die Sachen, nehmen die Beine in die Hand, da ist, während wir eilen, die schwarze Wolkendecke schon weit über uns drüber gerollt, bis zur Kalvaria, so schnell, und leuchtet ein Reststreifen heller Himmel am Horizont. Blitze, Windstöße, Regentropfen, genau auf die Minute, wie wir‘s in den Hauseingang schaffen, schüttet‘s wie aus Eimern. Wir sitzen am Fenster und sehen, Stullen essend, schönen Blitzformen zu. Aus dem Kopf malen vielleicht.
Ein Morgenporträt von typischem Hündchen, so schnubbelt es immer noch, wenn Viola und ich frühstücken.
Wie gestern Flucht ins Kühle, heute Kammerhof.
Raum 1: Mineralien. Ausgestellte Klumpen, schöne Farben.
Raum 2: Archäologie. Glanzenberg, keltische Münze, nur als Kopie einer Abbildung präsent, aus einem Stadtbuch von 1737. Ein Kopf im Profil mit Lorbeerkranz wie Julius Cäsar im Asterix und Obelix, Rückseite Reiter auf dick-wurstigem, schlauchbeinigen Pferd. Schautafel über keltisches Grab in Levice. Verrostete Spitzhacken, schwarz wie Kohlestücke. Grobe Keramiken. Abbildungen aus 15. Jh., und aus Books about mining and metallurgy, 1556: Ziegen im „Hamsterrad“ und Menschen laufen im Kreis, um Maschinen anzutreiben.
Raum 3: Blütezeit des Bergbaus 18.Jh., ein Kompas, clinometer, originale Ausgaben Bergwercks-Lexicon, 1730, 1743, beide aus Chemnitz, deutsch: Neues und wohleingerichtetes Mineral- und Bergwercks-Lexicon, worinnen nicht nur alle und iede beim Bergwerck, Schmelz=Hütten, Brenn=Hause, Saiger=Hütten, Blau=Farben=Mühlen, Hammer=Werken, und vorkommende Benennungen, sondern auch derer Materien, Gefäße, Instrumenten und Arbeitsarten Beschreibung finden, alles nach der gebräuchlichen Bergmännischen Mund=Art, sowohl aus eigener Erfahrung, als auch aus den bewehrtesten Schriftstellern mit besondern Fleiß zusammengetragen, und in Alphabetische Ordnung zu sehr bequemen Nachschlagen gebracht von Mineraphilo, Freibergensi, andere und vielvermehrte Ausgabe. Chemnitz 1743. Bey Johann Christoph und Johann David Stößel.
Gründung der Bergbau-Akademie im 18.Jh. Porträts stolzer Unternehmer und Besitzer, Bergbau-Professoren. Desitllier- und Untersuchungsgeräte, Glasampullen und -Kolben, Abb. Experimentieranordnung, Chemie, echte Pfeifenköpfe (die Herren haben bei all dem geraucht), Feder, Tintenfass, Auszeichnungsmedaillen für Studenten. 19.Jh.-Fotos schnurrbärtiger Herren in Anzügen und Uniformen und Ehrenzeichen, oder auch an Tischtafel posierend im Garten, wenn der Prof die Gesellschaft privat eingeladen hat.
Urkundenschriften. Fotos von Aufstellung/Posierung der ganzen Schule auf der Treppe mit Blasmusik, Fahnen und Girlanden. Frühes 19.Jh. Fotos von Herren der Gilde in Uniformen, Degen, komischen Kappen. Illustration aus der Zeit: Eine Stube, Studenten, wird wild getrunken, musiziert, geraucht, Zweie halten ein Leder aufgespannt, einer springt, dabei noch cool Pfeife rauchend, drüber, zwei Hunde gucken begeistert zu.
Foto: Kostümtheater, einer als Frau, einer Bäcker, Schlachter, Schmied, … Zwei echte Jacken der Studenten: dicker schwerer Stoff, enger Stehkragen, lauter Aufnäher wie Hippies oder Antifa: 1. Jacke Motive: Hufeisen, Trinkbecher, Schwein, Geige, BA (Initialen), Kleeblatt, Schuh. 2. Jacke: Herz, ein Fragezeichen, ein Ausrufezeichen, „1§.Balek“, „Kuss!“, „Glück auf!“, Mondsichel mit Gesicht, Flasche und Trinkkrug, auf einem Ärmel Apfel, auf anderem Birne.
Kartenspiele, ein glitzernder Damenfächer. Foto: Tanzsaal, Empore mit weißen Stoffmassen und Girlanden-Deko behängt (vgl. heute die FDP- und BWL-Stehtische, die in weiße Tücher gewickelt sind), rechts und links rahmen stehende Männergruppen das Bild, in der Mitte sitzen 50 und mehr Frauen wie auf der Bühne präsentiert. Wo hat man die vielen Frauen für die Studenten her bestellt?!
Raum 4: Mitglieder der Minenvereinigung bringen dem Jesus-Kindlein Votiv-Gaben. Folgende Kleidungstypen: Ungarn weißes Hemd, ganz rote Hose, Deutsche weißes Hemd, weiße, schön gestrickte, heut würde man sagen Damenstrümpfe, mit großen hell-rosa Schleifen-Bündchen, sie tragen symbolische feine Spitzhacken oder große Kerzen. Bergmann-Handarbeiten: Schnitzfiguren in Flaschen gebastelt, Bergwerks-Motive.
Raum 5: große Ganzkörper-Porträts von Kaisern, die hier zu Besuch kamen, 18.Jh.
Raum 6: Empfangsraum für Grafen, Kamin, Ofen, paar sehr schöne Intarsien-Möbel und Tafelgemälde, Fresken des Malers Anton Schmidt, der hierzulande hat sehr viel malen dürfen, hier sehr schöne Wände in rosa und hell-mintgrün und weichem Gelb.
Raum 7: 16. und 17.Jh.-Bücher über Minenrecht und Bergordnungen, denen man ansieht, dass viel Streit und Gier darum gewesen sein muss. Kacheln von Öfen, grobe Keramiken, Gemälde-Porträts von Administratoren, Experten, Aufsehern und Vorstehern.
Raum 8: Über Schürfungen (d.i. Proben nehmen) und Förderungen (Abbau), fing früher an mit Wünschelruten, endet mit für den Laien genauso rätselhafter, aber modernster Technik. Werkzeuge zum Hacken, Bohren, Schießpulversprengung, 19.Jh.-Bohrmaschinen, da posieren die Bergleute in Fotos wie mit Kanonen.
Raum 9: Über Beleuchtung, feinste Metallmessgeräte, Kompasse, Tripoden-Ständer zum Mikroskope in menschlicher Stehhöhe draufschrauben, Lampen-Typen: Öl, in armen Zeiten Talk, was mit Calcium-Fortschritt, heute Sicherheitslampen.
Raum 10: Blasebalg, Öllampen
Raum 11: Man bohrt immer tiefer im Berg und hat Probleme mit Grundwasser. Modelle mit Minenkonstruktionen, Pumpen, um das Wasser aus den Tiefen zu entsorgen.
Raum 12: Transport. Modelle, wo arme Pferde unter Tage im Kreis laufen müssen, um Maschinen anzutreiben. Der Hunt und der Knecht - ersteres ein Holzwägelchen, das früher über Holzbretter-Bahnen fuhr, später auf Schienen, letzteres Lederriemen an Seilen hängend, Art Schaukel oder Kran. Abbildung aus (laut Beschriftung) G. Agricola: XII books about mining and metallurgy 1556: Hunde tragen - ist das Talk? - heran, für die Lampen, Talkbündel mit Ziegenbeinen dran?
Raum 13: Modelle zum Knöpfe drücken, rattert‘s los, z.B. Model of flotation battery with drum filter. Verarbeitung der Rohstoffe, Zerkleinern, Sortieren, Amalgamierung, Herstellung von Quecksilber.
Raum 14: Immer moderner, 19.,20.,21.Jh. Bohrhämmer, Messgeräte, teilweise wie Beuys-Ausstellung oder aus Neo Rauch.
Raum 15: Elektrische Lampen und Meßgeräte, mobiles Telefon, als die allgemeine Bevölkerung sowas noch nicht kannte. Telefone aus Eisen, Telefone an Stationen in Minen unter Tage in die Wände eingebracht. Fotos aus den 80ern und 90ern: Arbeiter oft halb nackt, so warm, einer sogar barfuß und nur in Schlüpfer, aber noch Bergmanns-Mütze, die darf nicht fehlen.
Nachmittag im Monarchia, Touristen und ein sehr müder Arbeiter mit Mittagshunger, Viola hat erzählt, dass hier immer viele Arbeiter mit großem Hunger Mittag essen. Violas Bruder ist eingetroffen, ruht sich in unserer Herberge aus. Nachher wir drei an einen See.
Nach 10 oder 11 in den Archanjel, Möbel, teils wie Ikea, teils DDR oder 70er, Farben wie Technicolor in Robin Hood. Lifeband spielt. Viola und Bruder suchen uns Tisch im Nebenraum, wo wir das Spektakel nur nebenbei hören. Nach Mitternacht, als die Band ihr letztes Stück, ein Highlight gespielt hat, wenn der Deutsche denkt, peinliche Stille und einpacken, staunt er nicht schlecht, als die Gäste plötzlich zum Gesang anheben, mehrstimmig, gute, feste Töne, laut und ernsthaft, für deutsche Ohren wie ein professioneller Chor. Dem Klang nach zu urteilen so, dass sich alle stramm aufgestellt haben, ich gucke um die Ecke in den Raum: Was ein Durcheinander, eine besonders ton-angebende Frau packt ihre Tasche, tippt am Handy und singt so nebenbei, ein besonders heraustechender Mann mit klarer Stimme, ungekämmtem Bart und Struwelhaaren geht mitten drin kurz zur Toilette, um danach gleich wieder zu übernehmen, andere hängen schräg an den Tischen, „Das machen die immer so, für die is das nichts. Jeden Abend.“, sagt Viola.
Nachts gegen eins nach Hause.
Souvenir am Morgen. Wie letzte Woche aus der Vergangenheit vorher gesagt, kommt auch Violas Bruder nie ohne Tasse aus diesem Tassenladen.
Monarchia am Mittag.
Bruder und Schwester fahren baden. Heut abend wieder Archanjel geplant und Besuch von Freund und Cousin.
Bestes Wetter heute, heiß, aber nicht unmenschlich, um mir eine, nämlich schattenlose, Gasse vorzunehmen.
Kaum gesagt, erbarmungslose Sonne. Die malerischsten Gassen haben die Eigenschaft, so breit zu sein, dass ein Auto genau hindurch passt, was auch ständig unter Beweis gestellt wird, in rasender Geschwindigkeit. Der Rand reicht gerade zum Sich-schlank-an-die-Seite-drücken. Unsere Generationen sind die ersten der Welt, die auf schönsten Wegen nicht verweilen können, weil immer ein Auto durch oder dort parken muss. Bis vor einigen Jahrzehnten ahnte mancher Maler nicht, dass er der Letzte sein wird, der diesen Anblick malt: nach ihm Autos, Ausweichen, allenfalls kurz Foto. Es kommt zwar über längere Zeit kein Auto, insgesamt ruhig und still, aber zum Bild malen reicht‘s nicht. Der Bansker Stiavnicaer beherrscht das Auto bergrunter und um Kurven rückwärts genauso wie vorwärts, oft fährt er eine ganze lange, steile Gasse um die Kurven rückwärts hinunter.
Morgen ist der letzte Tag, da muss überlegt werden, was unbedingt, oder zumindest sinnvollerweise oder schönerweise noch skizziert und erwähnt werden sollte. Mein Lieblingsmotiv sind die Straßen und Gassen. Eigentlich auch der nicht malbare See, aber was nicht malbar ist, oder einem im Moment nicht malbar erscheint, ist schnell ausgeschieden.
Abends Einkehr im Art-Café. Viola, Bruder und Freund haben sich doch für ein anderes als das Archanjel entschieden, merkwürdigerweise auch diese Technicolor-Farben aus Robin Hood. Auf dem Weg hört eine Gruppe jugendlicher slowakischer Mädchen laut Y.M.C.A, den orignalen von ‘78! Damals war er cool, zu meiner Generation cool, heute cool.
Viola, hier wie in zweiter Heimat, hat einen Tag mit Familie und Freunden.
Ich Stollen-Eingänge: gibt es an vielen Wohnhäuschen, Restaurants, in Gärten, an Straßen, im Hausflur. Jedes Kind konnte - oder weiß nicht genau - kann vielleicht noch, kurzerhand in die Minen gehen, so einfach wie anderen Orts in den Keller, und sich dann unendlich weit verlaufen, wie gesagt, alle Tunnel der Gegend zusammengenommen so lang wie ein oder zwei mal um die Erde, Viola wusste‘s nicht mehr genau.
Ein Opi stapft den steilen Hang hinunter in die Stadt. Heut ist wieder einmal ein Murkstag, ein Gemurkse auf dem Papier, es dauert so lang, dass die Sonne wandert und Häuschen mit Minen-Eingang in ganz anderem Licht erscheint. Der Opi kommt wieder hoch gestapft, mit Einkaufstüten. Und stapft tatsächlich auch noch das Treppchen zu dem Häuschen hoch, an welchem ich mich gerade vermale. Kurz später kommt er wieder die Treppen von seinem Häuschen herunter und freudig schwatzend auf mich zu, na weil ich sein Häuschen male! „Hallo, äh, po nemecky?“, frage ich ihn, er weiter freudig was slowakisch, wie alte Leute immer weiter schwatzen, und glücklich sind, egal, was der andere da redet, der andere wird schon auch irgend sowas gesagt haben. „Hm, po anglicky?“ Jetzt erst merkt er, dass ich gar nichts versteh und er auch nicht versteht, was ich sage. Stutzig guckt er mich an und schiebt die Unterlippe vor, schwatzt wieder munter drauf los auf Slowakisch. Ich frage noch paar mal: „Po nemecky? Anglicky? Äh, я не понимаю.“ Er versucht sich verständlich zu machen und wirft mir immer ein Wort an den Kopf, oder jedes Wort klotzig einzeln, als könnte ich es nach x mal irgendwann erraten. Schließlich schüttelt er lächelnd den Kopf, zeigt auf sein Häuschen in meinem Bild und dann auf sein echtes Häuschen und wieder aufs Bild, ah ja ich weiß: Ist sein Häuschen, er wohnt dort. „So beautiful. Schönes Haus!“, sage ich, er nickt und freut sich, zeigt wieder auf mein Bild und guckt ziemlich genau, wie um zu sagen: „Na, so schief ist doch unser Küchenfenster nicht“, oder „den Blumenkasten vergessen“ oder „unsere Schafgarbe musst du größer malen.“ - Aber weil ich eh nichts versteh, sagt er „Dobrý! Dobrý!“ - „ďakujem!“ - Fröhlich stapft er das Treppchen wieder hoch „Dobrý!“ Ich male weiter und höre eine andre Stimme im Häuschen was fragen. Er antwortet was mit „Anglicky!“ Sie reden noch ein Weilchen aufgeregt über mich. Seit dem bin ich zwar ganz fröhlich, aber verderbe auch das Bild.
Sonne und Wolken wechseln sich ab mit Drohungen: Hitzestich oder Gewitter! Herum-Irren. Wie letzten Sonnabend ist die Stadt wieder sehr unruhig, im Zentrum Touristen, in den Gassen die einheimischen Wochen-Endler alle zu Hause. Wald und See wahrscheinlich genauso „auf Trapp“, v akcii (laut ChatGPT). Letzte Woche im Halusky-Lokal hat uns die Kellnerin auch mit etwas begrüßt wie akcii, da haben wir’s noch nicht verstanden, und sie musste uns auf ihrem Handy irgendwie verständlich machen, dass sie nur ein bisschen länger bräuchte, weil sie eine Veranstaltung betreuen muss.
Ich lande überall mal in der Stadt, oben wie unten, verweile unten vor dem Stollen-Eingang Štôlňa Glanzenberg, Skizze ist mir arg abstrakt geraten (Bild 3), vielleicht lässt sich‘s beschreiben: die gelben Flecken, die dort unten in dem Steinloch drin hocken, ist eine Gruppe gelb behelmter Minen-Besucher, die vor dem Eintritt Belehrung bekommen. Vor dem Kreuz werden sie in ernst-andächtige Stimmung gebracht. Links über dem Steinloch, worin sie stehen, ist unter warmem Schirm das Restaurant und Hotel Kachelmann. Geradeaus die viel befahrene Straße mit auch einem Café auf der andern Seite.
Ich lande einmal zu Hause, wärmere Sachen anziehen, und dann im Kachelmann, wo ich das Malzeug festhalte, bevor der Wind es zum Štôlňa Glanzenberg hinunter bläst. Eierkuchen mit Eis. Viola hat am ersten Tag erzählt, dass sie hier eine Lebensmittelvergiftung bekommen hat, seit dem sag’ ich bei jedem Vorschlag: nicht ins Kachelmann! Nur jetzt am letzten Tag, dacht’ ich, wenn alle Bilder gemalt sind, was soll jetzt noch passieren. Viola ist außer dieses einen Vorfalls nichts passiert. Ich male das missratene Bild von heute morgen noch mal ab, ob es besser wird. Ein Tourist stellt sich neben mich an meinen Tisch und fragt etwas. Bequem habe ich mir „don‘t understand“ angewöhnt, die Slowaken verweigern meistens Englisch. Diesmal nicht, er spricht leider Englisch: „What are you doing?“ und guckt, was ich mache. Zweimal das selbe Motiv, aber nicht von hier. „It‘s another Road, I try to correct it.“ Er guckt wie „Aha“, und mein Banska-Eindruck ist ganz umgestülpt, von wegen Malerparadies und vornehme Slowaken, die einen nicht ausfragen.
Früher nach Hause, Sachen für die Abfahrt morgen packen, Wohnung sauber machen. 19Uhr, Viola und ihr Bruder kommen von turbulentem Ausflugstag mit Cousin und müssen gleich wieder los: Noch ein Freund im Archanjel. Viola hat ihr Packen und Räumen heut vormittag schon erledigt, und ist mit gutem Gefühl die schönen Aquarelle durchgegangen. Auch ich geh meine kurz durch und denke, wenn ich länger hier bliebe, würde aus mir ein ganz anderer Maler, man muss hier anders malen. Wie wird man nachher, nach diesen zwei Wochen, zu Hause malen?
Viola erzählt, meine Story von gestern, der alte Mann, sei so typisch! Die Slowaken reden auf einen ein und machen keinen Unterschied, wenn einer nichts versteht. Und dann sagen sie x mal das selbe Wort ganz langsam und deutlich und warten drauf, dass einem irgendwann einfällt, was es heißt. Vielleicht, weil der slawische Sprachraum von Polen bis Russland so groß ist, dass sie etwas nur oft genug deutlich aussprechen müssen, dann wird der andre drauf kommen, dass ein russisches красивый ein slowakisches krásny ist. Er rechnet nicht damit, dass der Germane nie auf schön oder beautiful kommen wird. Aber obwohl man nichts verstanden hat, bleibt hinterher direkt das Gefühl, sich unterhalten zu haben. Vielleicht liegt der Inhalt gar nicht so viel in den Worten. Was eine Wohltat, zu sehen, dass Englisch und Amerika doch nicht der Mittelpunkt der Welt sind, wie wir geglaubt haben!
Kurz nach 8 früh Gepäck ins Auto, Abfahrt. Kurven, Kurven, Kurven um die Berge. Radió Slovensko. Auch die Tage beim Malen öfters Radió Slovensko aus den Gärten und Häusern gehört. Nachrichten in demselben Tonfall wie mancher deutsche Sender, selbe Mentalität. Gleiche alarmierende Melodie zur Ankündigung der Meldungen, und zu Übergängen, Verkehrsmeldungen, Wetter, amerikanische Pop-Musik, hektisches Unterhaltungs-Geplapper mit ständigem Rein-Geklingel, Getröte, Effekte, selbe Sprechpausen und „Tata“ und „Tam Tam“. Könnte man weder deutsch noch slowakisch, würde man keinen Unterschied erkennen. So erscheint deutsches Radio nicht mehr deutsch, wobei, die Art war ja immer befremdlich künstlich. Kein Deutscher redet wie im deutschen Radio, kein Slowake wie im Radió Slovensko. Wie weit in den westlichen und wie weit in den slawischen Raum diese mediale Übereinstimmung wohl reicht? Und in welche Schule sind die Betreiber gegangen - wer ist der oberste Chef, sodass nicht verschiedene Länder eine verschiedene Ästhetik hervorbringen?
Letice, Nitra, Trnava, Bratislava, Brno, Prag, Rodnice nad Labem, Usti nad Labem, Pirna, 15 Uhr Dresden.
Erste Erfahrung, wieder in Deutschland: Gerangel in Zügen. Bin versehentlich noch auf Englisch: „Sorry“, und hätte Lust, auch hier immer „Don‘t understand“ zu sagen.
Ankunft 16:50Uhr in Leipzig.